29. Oktober 2004
TIN News Update
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Neubesetzungen von Verwaltungsstellen in der TAR - Integration statt Autonomie

Kürzlich wurden in den offiziellen chinesischen Medien eine Reihe von personellen Veränderungen in der Autonomen Region Tibet (TAR) bekanntgegeben, die bereits am 29. September 2004 bei der vierten Sitzung des achten Ständigen Ausschusses des Kongresses der Volksvertreter der TAR angekündigt worden waren. Abgesehen von ein paar Umbesetzungen im Kongreß und der eigentlichen Volksregierung betreffen die meisten Absetzungen und Neubesetzungen das Justizwesen, genauer gesagt die Mittleren Volksgerichte und insbesondere die Staatsanwaltschaften ("Prokuraturen") aller sechs Präfekturen der TAR, ausgenommen den Bezirk Lhasa, der einen Sonderstatus genießt. Diese personellen Veränderungen zeigen, daß immer häufiger chinesische Kader gegenüber tibetischen bevorzugt werden und daß die "regionale Autonomie" für Peking eher eine Übung in Integration als in Diversifikation ist.

Innerhalb des chinesischen Justizsystems sind drei Instanzen für die Einhaltung der Gesetze zuständig: die Prokuratur, die Gerichte und die Polizei - und alle drei unterstehen sie der direkten Kontrolle der Partei. Von den dreien ist die Prokuratur die wichtigste, denn sie überwacht die Arbeit der Polizei und der Gerichte und ebenso, wie die vom Volkskongreß erlassenen Gesetze (der nichts weiter als ein der Partei unterstehendes Abnick-Organ ist) umgesetzt werden. Ein tibetischer Offizieller bestätigte TIN gegenüber die Rolle der Partei: "China sagt, seine Gesetze seien gut, Indien sagt, seine Gesetze seien gut, die USA sagen, ihre Gesetze seien gut. Ob Chinas Gesetze nun gut sind oder nicht, ist eigentlich gar nicht so wichtig, denn die Partei kontrolliert ja die Gesetze ... Was anderswo Gesetz genannt wird, ist in China und Tibet nichts als ein Werkzeug der Partei, ein Instrument, das der Partei zu Diensten steht."

(Auf der Website von TIN gibt es eine Tabelle mit den Namen und Funktionen der bisherigen und der neuen Kader: www.tibetinfo.net/reports/trlead/leaderstable.htm).

Nur zwei von den dreizehn in den Prokuraturen der einzelnen TAR-Präfekturen neu besetzten Stellen werden mit Tibetern versehen, die Chinesen ablösen. Auf TAR-Ebene ist bei fünf Ernennungen nur ein Tibeter in die Prokuratur ernannt worden, wo er wohl einen anderen Tibeter teilweise ersetzen wird. Ähnlich ist von den sieben für die verschiedenen Mittleren Volksgerichte neu ernannten Kadern nur einer ein Tibeter.

Diese Stellenbesetzungen schaffen ein ethnisches Ungleichgewicht, das im Widerspruch zu der erklärten Politik der PRC steht, wie sie in dem 1984 bei der zweiten Sitzung der sechsten Versammlung des Nationalen Volkskongresses verabschiedeten Autonomie-Gesetz für nationale regionale Minderheiten niedergelegt wurde. Dieses wiederum greift auf ähnliche Bestimmungen aus früheren Gesetzen und Verordnungen über regionale und ethnische Autonomie zurück und wurde außerdem in dem von dem Informationsbüro des Staatsrats Chinas am 23. Mai 2004 herausgegebenen "Weißbuch: Regionale Ethnische Autonomie in Tibet" wiederholt. An den jetzigen Ernennungen wird deutlich, daß die chinesische Regierung nicht gewillt ist, Mitglieder ethnischer Minderheiten einzustellen, und daß sie trotz ihrer öffentlich bekundeten Begeisterung für solche Initiativen eher die Kenntnis der Verhältnisse vor Ort nutzt, um ihre Kontrolle noch wirksamer ausüben zu können. Früher war z.B. ein Cicheng genannter Tibeter viele Jahre lang Chef der politischen und juristischen Kommission der TAR - ein Gremium, das bei der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung an der Basis eine wichtige Rolle spielt.

Vielleicht stehen diese Neubesetzungen auch eher im Zusammenhang mit der derzeitigen Politik "Unterstützung für die tibetischen Kader" (chin. Yuanzang ganbu) als daß sie eine endgültige Absetzung tibetischer Kader von ihrem Posten bedeuteten. Im Zuge dieser Politik werden Kader aus verschiedenen Provinzen und Berufsfeldern für eine gewisse Zeitspanne in die TAR geholt, um für den einheitlichen Ablauf der Arbeitsvorgänge in der ganzen PRC zu sorgen. Die chinesischen Kader, die jetzt in die Mittleren Volksgerichte und Prokuraturen versetzt wurden, sollen wahrscheinlich dafür sorgen, daß die Tibeter den Anschluß an die sonst überall in der PRC einheitlichen Abläufe im Justizwesen finden. All dies zeigt, wie sich das Verständnis der chinesischen Führung von der regionalen Autonomie der Achtziger, die der Toleranz gegenüber Andersartigkeit einen gewissen Raum bot, zu dem heutigen mehr auf Integration bedachten verlagert hat, bei dem die Homogenität an erster Stelle steht. Ein anderer tibetischer Kader, der mit TIN sprach, faßt die Situation im Hinblick auf das Autonomie-Gesetz für nationale regionale Minderheiten so zusammen: "Ob dieses Gesetz nun ein gutes oder kein gutes Gesetz ist, ist unwichtig, die Umsetzung erfolgt ja doch nur entsprechend den Bedürfnissen der Partei ".