15. März 2019
Tibetisches Zentrum für Menschenrechte und Demokratie (TCHRD), www.tchrd.org

Ehemaliger politischer Gefangener erneut zu 18 Jahren und seine Frau zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt

Das Tibetische Zentrum für Menschenrechte und Demokratie (TCHRD) ist tief besorgt um das Schicksal und den Verbleib eines ehemaligen politischen Gefangenen und seiner Frau, die in einem geheimen Verfahren im Kreis Sog (chin. Suo) der Präfektur Nagchu zu 18, bzw. zwei Jahren Gefängnis verurteilt wurden.

Dem TCHRD gingen Informationen zu, denen zufolge der 57jährige Lodoe Gyatso und seine Frau Gakyi irgendwann 2018 heimlich verurteilt wurden, nachdem Gyatso vor dem Potala Palast in Lhasa willkürlich festgenommen worden war. Ganz alleine hatte er friedlich gegen die chinesische Regierung protestiert (1).

Wie früher vom TCHRD berichtet, hatte Lodoe Gyatsos Frau Gakyi vor seinem Protest am 28. Januar 2018 ein kurzes Video von ihm aufgenommen, in dem er seine „Kampagne für den Frieden in der Welt“ und den Soloprotest ankündigte. Dieses Video fand über die sozialen Medien seinen Weg in die Außenwelt und auch unter den Exiltibetern weite Verbreitung.

Lodoe Gyatso

Quellen in Tibet erfuhren irgendwann im November 2018 von der geheimen Verurteilung, das genaue Datum und die gegen Lodoe Gyatso erhobenen Anklagen bleiben jedoch unbekannt. Familie und Verwandte sind in Unkenntnis über den Zustand der beiden und den Ort ihrer Inhaftierung.

Aufgrund der vorhandenen Information kann bestätigt werden, daß Lodoe Gyatso seit Januar 2018 in geheimer Haft ohne Verbindung zur Außenwelt gehalten wird. Wann genau Gakyi in Haft genommen wurde, weiß man nicht, fest steht nur, daß auch sie von der Außenwelt isoliert festgehalten und in der Folge zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt wurde.

Wegen politischer Aktivitäten bestraft

Sowohl im Gefängnis als auch außerhalb hält Gyatso seit vielen, vielen Jahren der Obrigkeit gegenüber mit der Wahrheit nicht zurück. Bekannt für seinen außerordentlichen Mut, die Machthaber herauszufordern, mußte er erleben, wie sein ursprüngliches Urteil wegen „vorsätzlicher Tötung“ auf 21 Jahre verlängert wurde, als er, noch im berüchtigten Drapchi Gefängnis (2) eingesperrt, einen Protest der Häftlinge gegen die chinesische Herrschaft in Tibet anführte.

Drei Jahre nach seiner Entlassung wurde er im Mai 2016 wieder festgenommen, weil er gegen die Ausweisung von Mönchen und Nonnen aus religiösen Institutionen außerhalb der TAR protestiert hatte. 2015 hatte er offen die örtlichen chinesischen Behörden kritisiert, weil sie die Tibeter zwangen, am Gründungstag der PLA (People’s Liberation Army) in mit Tiger- und Leopardenfell besetzten Chupas (traditionelles Kleidungsstück) Lieder und Tänze aufzuführen.

In dem Videoclip, den er mit Gakyis Hilfe aufnahm, sieht man ihn eine einfache schwarz-weiße Chupa tragen (3). Er spricht mit Begeisterung von der Vision Seiner Heiligkeit des Dalai Lama, Tibet zu einer „Zone des Friedens“ zu machen, und preist dessen „Mittleren Weg“ zur Lösung der Tibet-Frage. Weiter spricht er von der Bedeutung der buddhistischen Grundsätze der Interdependenz und der Gewaltlosigkeit, und wendet sich dann seiner „Kampagne für den Frieden in der Welt“ zu.

Das TCHRD ist fest davon überzeugt, daß Gyatso und Gakyi ungerechterweise bestraft wurden. Sie wurden verurteilt, weil sie den genannten Videoclip hergestellt und verbreitet hatten, sowie wegen des Protestes, den Gyatso später vor dem Potala Palast abhielt.

Das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung sind im Art. 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verankert, im Art. 19 des Internationalen Paktes über Bürgerliche und Politische Rechte (ICCPR), sowie in vielen anderen Menschenrechtsverträgen wie dem Internationalen Pakt für Wirtschaftliche, Soziale und Kulturelle Rechte, dem Internationalen Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung, dem Internationalen Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung gegen Frauen, die China aber nicht alle unterschrieben und auch nicht alle ratifiziert hat. Diese Verträge beschützen alle Formen der Meinungsäußerung, darunter auch „politische Äußerungen, Kommentare zu seinen eigenen und öffentlichen Angelegenheiten, Wahlpropaganda, die Debatte über Menschenrechte, Journalismus, kulturelle und künstlerische Ausdrucksformen, Belehrung und religiösen Diskurs“.

Der Art. 19(1) des ICCPR schützt das Recht auf „unbehinderte Meinungsfreiheit“, „einschließlich (aber nicht beschränkt auf) Meinungen politischer, wissenschaftlicher, historischer, moralischer oder religiöser Natur“. Insbesondere das Recht auf Meinungsfreiheit darf keine Ausnahmeregelung erfahren, auch nicht in Zeiten des Notstandes.

„Die chinesischen Behörden sollten Lodoe Gyatso und Gakyi unverzüglich und bedingungslos aus der willkürlichen Haft entlassen. Sie sollten wahrheitsgemäße Angaben über die Umstände machen, die zu ihrer illegalen Inhaftierung führten und die Offiziellen, die für die Inhaftierung, Folter und andere grausame und herabwürdigende Behandlung und ungerechte Verurteilung verantwortlich sind, zur Rechenschaft ziehen“, sagte Tsering Tsomo, die Geschäftsführerin des TCHRD. „Die totale Geheimhaltung, die diesen Fall umgibt, ist schockierend und es ist tief beunruhigend, wenn ein friedlicher Aktivist ein solch hartes Urteil bekommt, nur weil er seiner Meinung Ausdruck verliehen hat“.

Hintergrund

Lodoe Gyatso stammt aus dem Dorf Sogkhar in der Gemeinde Tsadhog, Kreis Sog (ehemals zu Kham gehörend). Dort wird er wegen seiner festen politischen Überzeugungen und seines Stolzes auf seine Identität und Kultur sehr geschätzt. Zu seiner Familie gehören seine Frau, seine Mutter, fünf Schwestern und ein jüngerer Bruder. Vor seiner Inhaftierung war er ein Tanzkünstler und ein dreifacher Champion im Gewichtheben in seiner Heimatstadt.

Am 20. April 1994 verurteilte das Mittlere Volksgericht von Nagchu Lodoe Gyatso zu 15 Jahren Gefängnis, weil er aus Notwehr handelnd einen Fahrer namens Gayoel getötet hatte. Am 17. Januar 1993 war Gyatsos Schwester Lharik bei einem Autounfall ums Leben gekommen, woraufhin Gyatso den Fahrer des Fahrzeugs Gayoel wegen Mordes verklagte. Das Gericht entschied den Fall zugunsten von Gayoel, der als pro-chinesisch galt, und sprach ihn als „unschuldig“ frei. Später, im selben Jahr, trafen die beiden auf dem Dorfmarkt zusammen und gerieten aneinander. Gayoel gab zwei Schüsse auf Gyatso ab, die ihn aber verfehlten, woraufhin letzterer, um sich selbst zu verteidigen, Gayoel niederstach, der später im Krankenhaus starb (4).

Während er die 15jährige Haftstrafe im Drapchi Gefängnis verbüßte, führte Gyatso am 4. März 1995 einen Protest gegen die chinesischen Behörden an. Zusammen mit anderen Häftlingen rief er Slogans wie „Tibet ist unabhängig!“ „China raus aus Tibet!“, „Lange lebe Seine Heiligkeit der Dalai Lama!“, „Ihr sechs Millionen Tibeter, steht zusammen!“ Dazu verteilte er handgeschriebene Pamphlete und hängte Wandzettel auf, auf denen politische Botschaften und Gebete für den Dalai Lama standen.

Als Folge hiervon wurde er über einen Monat lang gefoltert und verhört, doch weigerte er sich, ein Geständnis abzulegen, woraufhin er zur Strafe auf Hungerration gesetzt wurde. Später legten die Gefängnisleiter und die Kader der Umerziehung-durch-Arbeit der Staatsanwaltschaft nahe, Gyatso hinrichten zu lassen.

Während das Mittlere Volksgericht auf die Einwilligung des Höheren Volksgerichts der TAR wartete, wurde im April 1995 die Nachricht von Gyatsos unmittelbar bevorstehender Hinrichtung von Mithäftlingen aus dem Gefängnis geschmuggelt, so daß sie internationale Aufmerksamkeit erregte.

Sogleich verfaßte der UN Sonderberichterstatter für außergerichtliche, summarische und willkürliche Hinrichtungen am 18. Mai 1995 einen Eilappell an die chinesische Regierung. Diese antwortete, es gäbe gar kein „Todesurteil“, doch „im Gefängnis sträube sich Gyatso, sein Verhalten zu ändern, und ginge statt dessen subversiven und separatistischen Aktivitäten nach“, weshalb das ursprüngliche Urteil von 15 Jahren um sechs Jahre verlängert und ihm für weitere drei Jahre die bürgerlichen Rechte aberkannt wurden. Am 2. Mai 2013 wurde Gyatso nach Verbüßung seiner Strafe im Drapchi und später im Chushur Gefängnis bei Lhasa entlassen.

(1) 13.02.2018, Nach 21 Jahren aus dem Gefängnis entlassener ehemaliger politischer Gefangener erneut festgenommen, http://www.igfm-muenchen.de/tibet/TCHRD/2018/LodoeGyatso_13.2.18.html

(2) "Drapchi Prison - Das gefürchtetste Gefängnis Tibets"
http://www.igfm-muenchen.de/tibet/Reports/Drapchi.html

(3) http://tchrd.org/former-tibetan-political-prisoner-sentenced-to-18-years-for-protest-wife-given-2-years-for-filming-video/

(4) Human Rights Update, August 2003, Sechs Jahre Strafverlängerung wegen Unabhängigkeitsparolen, http://www.igfm-muenchen.de/tibet/HRU/2003/HRU-2003-08.html